Gerechter Lohn – Wann wird sich endlich etwas ändern?

Derzeit werden sie beklatscht – die Helden der Coronakrise. Diejenigen, die den Laden am Laufen halten. Pflegekräfte, Mitarbeiter im Lebensmitteleinzelhandel, Lieferanten. Allerdings haben viele dieser sogenannten systemrelevanten Berufe eines gemeinsam: Sie werden schlecht entlohnt. Aus diesem Grund rückt die Frage nach fairer Bezahlung gerade verstärkt in den Fokus von Öffentlichkeit und Politik. Ganz sicher kein leichtes Thema. Denn was ist gerechter Lohn? Wer bestimmt den Wert, den die Arbeit des Einzelnen hat? Und wer trägt die Kosten einer angemessenen Vergütung für jedermann?

Gerechter Lohn

Deutschland mit großem Niedriglohnsektor

Zwar ist Deutschland eines der reichsten Länder innerhalb der EU. Aber zugleich hat es einen der größten Niedriglohnsektoren. Eine Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) aus dem Jahr 2019* zeigt, dass hierzulande rund ein Viertel aller Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnbereich angesiedelt ist. Das betrifft vor allem Minijobs, Neben- und Teilzeittätigkeiten. Dabei bedeutet Niedriglohn ein Stundenentgelt, dass geringer ist als zwei Drittel des mittleren Bruttostundenlohns. In konkreten Zahlen sind das weniger als 10,80 Euro pro Stunde. Kann das noch ein gerechter Lohn sein?

Ursprünglich wollte man durch niedrige Löhne die Hemmschwelle für die Einstellung von Erwerbslosen senken. Mit anderen Worten, der Job im Niedriglohnsektor als Sprungbrett für den Einstieg oder Wiedereinstieg ins Berufsleben. Dementsprechend groß war die Hoffnung, dass, je länger jemand seinen Job behält, auch das Gehalt ansteigt. Leider hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Denn ein Aufstieg in höhere Lohnkategorien gelingt nur den wenigsten. Die überwiegende Mehrheit muss sich weiterhin mit geringen Löhnen zufrieden geben. Daran hat auch die Einführung des Mindestlohns nichts geändert.

Ein gerechter Lohn sollte zum Leben reichen

Selbst wenn Minijobber & Co „freundlicherweise“ nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, zum Leben reicht ein gering bezahlter Job meistens nicht. Deshalb müssen viele ihr Einkommen mit staatlichen Transferleistungen aufstocken. Das gilt nicht nur für den Niedriglohnsektor. Sondern auch Geringverdiener sind betroffen. Also diejenigen, deren Gehalt zwar über der Niedriglohnschwelle liegt, aber immer noch unterhalb des Medianverdienstes. Arm trotz Arbeit – für viele eine bittere Realität. Von der drohenden Altersarmut einmal ganz zu schweigen.

Vor allem Frauen gucken nach wie vor in die sprichwörtliche Röhre. Obschon es immer mehr berufstätige Frauen gibt, sind es gerade sie, die oft schlechter bezahlt werden. Einerseits liegt das daran, dass typische „Frauenberufe“ von vornherein geringer vergütet werden. Andererseits bekommen sie trotz gleichwertiger Arbeit nicht generell dasselbe wie ein Mann, wie der Gender Pay Gap immer wieder zeigt. Zudem arbeiten Frauen oft in Teilzeit, um nebenbei Haushalt und Familie stemmen zu können. Für alleinerziehende Mütter ist dann ein Niedriglohnjob kaum tragbar. Übrigens gilt das auch für alleinerziehende, geringverdienende Väter, die wir nicht vergessen wollen. Ein gerechter Lohn kann hier sicher Abhilfe schaffen.

Das Kreuz mit der Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist ein großes Wort, eine Tugend und Grundlage menschlichen Zusammenlebens. Dennoch ist das, was Menschen im Einzelnen darunter verstehen, in großem Maße abhängig von ihrer eigenen Situation und Sichtweise. Was dem einen gerecht erscheint, muss es für den anderen noch lange nicht sein. Viele sind sich allerdings darin einig, dass ein gerechter Lohn das Geleistete berücksichtigt. Kurz gesagt, wer viel leistet, soll auch viel verdienen. Doch dann muss man fragen, wie man Leistung bewerten will. Wer leistet mehr – die Krankenschwester oder der Manager?

“Gerechtigkeit ist das, was die Menschen einander schulden, Wohltätigkeit ist das, was darüber hinaus geht.“

– Prof. Otfried Höffe, Tübinger Philosoph

Jedenfalls schulden wir denjenigen, die sich gerade in besonderer Form um die Gesellschaft verdient machen, nun eine ganze Menge. Dazu gehört neben Respekt und Anerkennung genauso ein gerechter Lohn. Insofern hat die Krise vielleicht auch etwas Gutes. Zumindest erscheint die Leistung bestimmter Berufsgruppen in einem ganz anderen Licht als bisher. Jetzt muss es nur noch mit der angemessenen Bezahlung klappen.

Wie kann ein gerechter Lohn verwirklicht werden?

Dass gerade Pflegekräfte und Einzelhandelsmitarbeiter mehr verdienen sollen, ist zurzeit herrschende Meinung. Aus diesem Grund besteht die Forderung, ein System zu etablieren, das gerechte Bezahlung im Fokus hat. Aber kann das allein Sache der Politik sein? Sind hier flächendeckende Tarifverträge, wie derzeit für Pflegeberufe geplant, die Lösung? Arbeitgeber stehen Tarifverträgen nicht immer aufgeschlossen gegenüber. Hier kollidieren unternehmerische Interessen mit denen der Mitarbeiter. Mehr Geld, mehr Urlaub? Das könne man sich nicht leisten! In manchen Fällen mag das sogar zutreffen.

Doch was ist mit den anderen? Sollten die nicht vielleicht ihr Verhältnis zu ihren Mitarbeitern überdenken? Ohne dass die Politik mit der Faust auf den Tisch hauen muss? Quasi aufgezwungene Tarifverträge machen am Ende niemanden glücklich (und fallen in der Regel auch nicht besonders üppig für die Arbeitnehmerschaft aus). Wäre es nicht angebracht, eine Unternehmenskultur zu leben, in der Mitarbeiter zufrieden sind? Weil sie ein gutes Team haben, weil sie genug verdienen und weil die Arbeit Spaß macht. Aber das ist eben nichts, was die Politik herbeizaubern kann.

Dessen ungeachtet sind wir alle gefordert. Gerechter Lohn ist ein gesamtgesellschaftlicher Konsens. Und der muss eben auch von der ganzen Gesellschaft getragen werden. In diesem Sinne bleibt abzuwarten, ob die Coronahelden immer noch Beifall bekommen, wenn die Beiträge für Kranken- und Pflegekasse und die Preise im Supermarkt steigen, weil am Ende doch alles viel teurer ist, als gedacht.

*Quelle: DIW Wochenbericht 14 / 2019, S. 249-257

Beitragsbild: Adobe Stock // Dmitry Lobanov

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