Arbeitszeugnis: Und alles hat doch so gut ausgesehen …

Es ist ein bisschen wie in der Schule oder auf der Uni: Man hat eine Klausur geschrieben und hat ein ziemlich gutes Gefühl, was das Ergebnis angeht. Man ist sich sicher – es wird eine gute Note. Und dann das! Man – nennen wir sie Marie – bekommt von der Personalabteilung ihr Abschlusszeugnis nach Jahren der Arbeit im Unternehmen ausgehändigt und sie kommt sich vor wie im falschen Film! Sie hatte einen schönen, individuellen Text erwartet, so wie den der Kollegin, die vor ein paar Monaten auch ausgeschieden war. Sie hatten beide in der gleichen Abteilung gearbeitet und sie war bereitwillig auf ihre Bitte eingegangen, doch mal einen Blick auf ihr Arbeitszeugnis werfen zu dürfen. Schließlich sei es ja wichtig zu wissen, wie so ein Arbeitszeugnis aussehen könne.

Arbeitszeugnis handgeschrieben

Das Arbeitszeugnis einer Streberin

Gut, die Kollegin (witziger Weise hieß sie auch Marie!) war schon ein arger Streber gewesen. Immer mit Überstunden vorneweg, immer als erste fertig mit den anliegenden Aufgaben, gerne bereit, auch mal Sonderaufgaben zu übernehmen. Keinen Sinn für Work-Life-Balance, die Gute. Eher jemand, der sich kaputt macht fürs Unternehmen. Dass da Lobesreden im Arbeitszeugnis stehen würden, das war zu erwarten. Jeder Außenstehende würde aber nach dem ersten Überfliegen merken, dass sich da jemand Liebkind gemacht hat beim Chef. Aber sie hatten ja die gleichen Aufgaben bearbeitet. Und groß rumgemeckert hatte eigentlich nie jemand an ihr. Aber statt eines schönen Textes, so wie sie sich das vorgestellt und wie ihn die andere Marie im Zeugnis hatte, findet sie eher spröde Angaben.

Unpersönliche Floskeln im Arbeitszeugnis

„Sie wendete ihr Fachwissen mit Erfolg in ihrem Arbeitsgebiet an.“ Beispielsweise. Oder „Marie hat sich engagiert in den ihm gestellten Aufgabenbereich eingearbeitet und verfolgte die vereinbarten Ziele nachhaltig. Sie führte ihre Aufgaben sorgfältig und planvoll aus.“ Und so geht es weiter, das ganze Arbeitszeugnis hindurch. Ja, meint man auf ihre Nachfrage in der Personalabteilung, das Erstellen von Zeugnissen sei standardisiert, man erfinde nicht für jeden Mitarbeiter einen völlig neuen Text. Und ja, das sei durchaus üblich. Marie ist erst einmal zufrieden mit dieser Information. Schließlich sind die getroffenen Aussagen ja in Ordnung. Man bescheinigt ihr ja Fachwissen, man erkennt an, dass sie das erfolgreich angewendet hat, dass sie engagiert gearbeitet hat.
Lassen wir Marie ein Weilchen allein mit ihrem Zeugnis und beschäftigen uns mit der Frage, wie individuell ein Zeugnis sein muss, um ein wirklich gutes Arbeitszeugnis zu sein.

Wie hat ein gutes Arbeitszeugnis auszusehen

Es hat sich in Deutschland eine spezielle Zeugnissprache herausgebildet. Der Grund liegt in der Forderung des Gesetzgebers, dass ein Arbeitszeugnis „wohlwollend“ und gleichzeitig „wahr“ zu sein habe. Ein individuell erstelltes Arbeitszeugnis von jemandem – direkter Vorgesetzter oder Mitarbeiter der Personalabteilung – der sich in der Thematik „Zeugniserstellung“ nicht wirklich gut auskennt, ist durchaus risikoreich für den Arbeitnehmer. Gut gemeint ist eben nicht auch immer gut gemacht! Gegen ein mit einer guten und anpassbaren Zeugnissoftware erstelltes Zeugnis ist also nichts einzuwenden. Die Beschreibung individueller Leistungen, besonders guter Ergebnisse, die erzielt wurden, die Beschreibung zusätzlich übernommener Aufgaben bietet Möglichkeiten, ein Zeugnis zu individualisieren und wirkliche Wertschätzung des ausscheidenden Mitarbeites zu signalisieren.

Beurteilung, nicht Verurteilung

Ein „wohlwollend“ zu erstellendes Zeugnis bedeutet übrigens nicht, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf ein durchgängig sehr gutes Zeugnis hat. Weuster/Scheer „Arbeitszeugnisse in Textbausteinen“ schreiben zum Thema: „Die Informationsfunktion (eines Arbeitszeugnisses) bedeutet keine Pflicht zu schonungsloser und vernichtender Offenheit. Es geht um Beurteilung, nicht um Verurteilung. Der Arbeitgeber ist wegen seiner Fürsorgepflicht gehalten, das Zeugnis mit ‚verständigem Wohlwollen‘ auszustellen, um dem Arbeitnehmer das weitere berufliche Fortkommen nicht unnötig zu erschweren.“ Die Autoren beziehen sich da auf ein BGH-Urteil. Dieser „Wohlwollenspflicht“ ist übrigens unsere oben zitierte Marie zum Opfer gefallen. Nein, nicht die „Streberin“, die mit dem schönen Text, die Goldmarie! Die andere, die so enttäuscht war über die spröden Angaben. Denn im Klartext wurde ihr durchs Unternehmen eine sehr durchschnittliche Leistung bescheinigt. Und diese Bescheinigung bleibt nun leider wie Pech ihr ganzes Berufsleben über an ihr kleben. Eine wahre Pechmarie!

Sagte ich schon den Namen der Arbeitgeberin der beiden? Sie haben sie sicher erkannt. Es ist Frau Holle!

😉

Mit besten Grüßen Ihre Sabine Kanzler

Bild: Kazarelth | flickr.com | CC by 2.0 | Ausschnitt

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