Wie Kauflust entsteht

Inzwischen ist allseits bekannt: Den »Homo oeconomicus« gibt es nicht. Jede Kaufentscheidung, selbst wenn sie unter scheinbar rationalen Gesichtspunkten getroffen sein mag, ist in Wirklichkeit eine mehr oder weniger emotionale Entscheidung. Emotionen sind der Schlüssel zum Verkaufserfolg. Und nur wer versteht, wie das menschliche Hirn funktioniert und damit weiß, wie Kauflust entsteht, wird auf Dauer gewinnen. Diese kleine Serie macht Sie mit dem notwendigen Wissen vertraut.

Kauflust

Auch wenn es zunächst nicht den Anschein hat: Emotio schlägt Ratio. Ohne Gefühle sind wir nicht einmal in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Wer seine Verkaufsgespräche emotionalisiert, wird also in Zukunft erfolgreicher sein. Denn alle Entscheidungen durchlaufen, bevor sie ins Bewusstsein gelangen und endgültig gefällt werden, das limbische System und werden dort emotional markiert. Die positiven, also angenehmen Marker sagen uns: »Weiter so!«. Die negativen, also unangenehmen Marker sind Signale für: »Kämpfe!« oder »fliehe!«. Es ist demnach gut, seinen Körper zu befragen, was er von einer Sache hält. Und noch besser ist es, zu lernen, auf die feinen Stimmungen seines Körpers zu hören.

Das Unbewusste bestimmt das Bewusste

Ein wenig desillusionierend bezeichnet der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth das bewusste »Ich« als eine Art Regierungssprecher, der Entscheidungen interpretieren und legitimieren muss, deren Hintergründe er gar nicht kennt und an deren Zustandekommen er noch nicht einmal beteiligt war. Gründe für oder gegen eine Entscheidung sind oft nichts weiter als logisch klingende Erfindungen, um vor anderen oder uns selber gut dazustehen. Marionetten unserer Neuronen seien wir und dem Tanz der Hormone nahezu willenlos ausgeliefert, heißt es auch.

Hirnforscher können anhand bildgebender Verfahren bereits erkennen, wie eine Entscheidung ausfallen wird, noch bevor sie im Denkhirn ankommt und schließlich verkündet wird. Sie beobachten dabei vor allem die Aktivierung von Hirnarealen im limbischen System. Das limbische System ist unser wahres inneres Machtzentrum und hat wesentlich größeren Einfluss auf unser Verhalten, als unser Groß- oder Denkhirn.

Die Kauflust und das Limbische System

Zum limbischen System gehören eine Reihe unterschiedlicher Strukturen in verschiedenen Hirnregionen. Es sorgt unter anderem für das Entstehen von positiven und negativen Gefühlen, für die Gedächtnisorganisation sowie die Aufmerksamkeits- und die Bewusstseinssteuerung. Somit ist es auch zuständig für das »Ja« oder »Nein«. Um die Hintergründe dafür besser zu verstehen, wollen wir im Rahmen dieser Serie näher betrachten:

  • die Insula und das Preisempfinden
  • die Amygdala, unser Gefahrenradar
  • das Belohnungszentrum und die Kauflust
  • Oxytocin, das Vertrauen und Loyalität bewirkt

Interessant dabei: Weit über 99 Prozent aller Reize, die ständig auf uns einprasseln, werden verarbeitet, ohne dass wir uns dessen auch nur ansatzweise bewusst sind. Die Prozesse, die dafür im Hirn benötigt werden, sind gebahnt. So wie ein Weg, der routinemäßig begangen wird.

Nur, wenn ein Angebot ein besseres Gefühl verspricht, wenn die Erfahrung eine positive ist oder das Ereignis den Kick des Besonderen verheißt, sind wir bereit, uns aus Routinen zu lösen – und Neues zu wagen. Das geht im Gehirn mit einem komplexen Umbau der »Verdrahtungen« einher. So ist es kein Wunder, dass wir bei manchen Entscheidungen eine Nacht drüber schlafen wollen. Unser Hirn liegt ja nächtens nicht komatös im Kopf herum. Sondern es ordnet, verknüpft und verschubladet. Am nächsten Morgen ist dann alles klar.

Unser Hirn mag es einfach

Unser Hirn favorisiert anstrengungslose Informationsverarbeitung. Und es ist ständig auf der Suche nach Risikominimierung. Positive Erfahrungen hingegen sucht es zu wiederholen. Denn unser Hirn liebt das Happy End. Deshalb hat unser Hirn das Bestreben, Unsicherheit in Sicherheit und Fremdartiges in Vertrautes zu verwandeln. Kompliziertes und Komplexes muss leicht decodierbar sein. Was wiedererkannt und als ungefährlich eingestuft wird, erhält den Vorzug. Deshalb kaufen wir Bekanntes und immer wieder Gleiches gern.

Routinen entlasten und machen unserem Oberstübchen die Arbeit leicht. Denn es verbraucht circa zwanzig Prozent der vom Körper produzierten Energie für sich allein. Deswegen fällt es immer dann, wenn es nicht hochaktiv sein muss, in den Energiespar-Modus. Die meisten Dinge, die wir tagtäglich tun, werden vollautomatisch getan. Wir müssen nicht darüber nachdenken, wie wir atmen oder eine Treppe besteigen, das macht unser »Autopilot«.

Nun sind die Menschen alle verschieden, denn jedes Hirn ist anders gebaut. Einige sehen in jedem »Neu« eine Verheißung. Andere sehen darin nicht Chance, sondern Gefahr. Auch geschlechterspezifische Aspekte sind zu beachten. Das Hormon Östrogen verstärkt zum Beispiel die Sozialmodule Fürsorge und Bindung. Ferner verändert sich im Laufe des Lebens die Struktur des Gehirns. So verringert sich im Alter die Ausschüttung des Dominanz-Hormons Testosteron wie auch die des aktivierenden Neurotransmitters Dopamin. Wohingegen die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol steigt. All dies sorgt für mehr Vorsicht – und begünstigt Loyalität.

Menschen wollen sich glücklich kaufen

Das Wollen der Kunden ist mächtig, wenn man weiß, wie es zu gewinnen ist. „Kaum ist ein Wunsch erfüllt, kommt schon der nächste angekrochen.“ So hat es Wilhelm Busch einmal gesagt. Wieso das so ist? Menschen wollen sich glücklich kaufen. Wer sich dabei an die Emotionen des Kunden richtet, wird den schlagen, der auf die reine Ratio zielt. Wie sowas gelingt? Indem Sie keine Produkte verkaufen, sondern Problemlösungen, gute Gefühle und die Kauflust wecken. Genau deshalb sind Kundenversteher so dringend vonnöten.

Was Menschen in Wirklichkeit kaufen? Sorglosigkeit, sichtbaren Erfolg, ein Vertrauensverhältnis ohne Enttäuschungsgefahr, Lebensqualität und Seelenfrieden. Zeit, Ruhe und Freiraum, so heißt der neue Luxus. Wer sich solche Dinge kaufen kann und will, der schaut nicht aufs Preisschild. Bei austauschbaren Produkten hingegen entscheidet immer der Preis. Denn dann ist der Preis das einzige Differenzierungsmerkmal.

Wie Wieder-Kauflust entsteht

Unternehmen, deren Angebote emotionalisierend, einzigartig und unkopierbar sind, werden über Preise höchstens am Rande verhandeln müssen. Wer einen Nachfrage-Sog erzeugt, braucht nicht länger mit (Preis-)Druck verkaufen. Die Ware liegt da und weckt Kauflust. Und die Leute sind ganz begierig darauf. Sie sind geradezu süchtig danach. Wie das kommt? Hirnregionen, die wir noch näher kennenlernen werden, signalisieren uns, dass es wirklich wichtig ist, mit etwas Angenehmem weiterzumachen.

Nach dem ersten »Ja« muss deshalb für schnelle Wiederholungen gesorgt werden, damit aus Neuem Routinen entstehen. Im Sport und in der Schule nennt man das Üben. Durch ständiges Üben entsteht Perfektion. Und durch regelmäßige Kontakte und ständige Wiederkäufe entsteht Loyalität und mehr Kauflust. Bei Wiederholungen verstärken sich die Nervenverbindungen und Handlungen rutschen in den »Autopiloten«. Sie werden fortan vollautomatisch getan. Wer also Loyalität will, muss gut getaktete Begegnungen und kleine Zwischendurch-Käufe in seine Kundenbetreuung einbeziehen. Wobei zwischen zu viel und zu wenig eine echte Gratwanderung liegt.

Anne M. Schüller

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