Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Veröffentlicht 21.12.2022 | Lesedauer: 4 Minuten

Wer erinnert sich noch an das sogenannte »Stechuhr« Urteil aus Luxemburg? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte darin im Mai 2019 entschieden, dass in allen Mitgliedsstaaten eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht und per Gesetz umgesetzt werden muss. Doch passiert ist hierzulande seitdem… nichts. Aber der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 (BAG 1 ABR 22/21) stellt nun eindeutig fest: Deutsche Firmen sind auch aufgrund der bisherigen Gesetzeslage verpflichtet, die Arbeitszeit vollumfänglich zu erfassen. Was ändert sich jetzt und wie muss die Zeiterfassung zukünftig aussehen?

Inhalt
Warum Arbeitszeiterfassung?
Bisherige Regelungen und BAG Entscheidung
Wie muss die Zeiterfassung aussehen?
Aus für Homeoffice & Co?
Fazit

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Exkurs: Wozu eigentlich Arbeitszeiterfassung?

Jeder Arbeitgeber hat gegenüber seinen Mitarbeitern eine Fürsorgepflicht. Er muss unter anderem Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gewährleisten. So hat er beispielsweise für ein der Gesundheit zuträgliches Raumklima (Stichwort: Mindesttemperatur) zu sorgen sowie die gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitszeit einzuhalten. All das dient in erster Linie dem Schutz der Arbeitnehmer.

Ein System zur Arbeitszeiterfassung schafft einen Überblick zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. So lässt sich leichter feststellen, ob vorgeschriebene Pausen- und Ruhezeiten befolgt, sowie dass die zulässige Höchstarbeitszeit nicht über- bzw. die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit nicht unterschritten wird. Die systematische Zeiterfassung kann als Instrument zur Verbesserung der Arbeitsorganisation dienen und dadurch Kosten sparen und die Personaleinsatzplanung erleichtern. Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, ihre Gehaltsabrechnung mit den geleisteten Arbeitsstunden abzugleichen. Außerdem bietet ein Zeiterfassungs-System Rechtssicherheit in puncto absolvierter Überstunden.

Kritische Stimmen sehen hierin zugleich ein Mittel der engmaschigen Mitarbeiterüberwachung. Und: Vielerorts hat sich längst das unbürokratische Modell einer Vertrauensarbeitszeit etabliert. Nun aber gibt es eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und damit Handlungsbedarf in zahlreichen Unternehmen.

nach oben »

Was galt bei der Arbeitszeiterfassung bisher?

Der EuGH hat mit seinem Urteil (C-55-/18 [CCOO]) eigentlich schon die Weichen gestellt und vorgegeben, dass die Arbeitszeiterfassung durch ein »…objektives, verlässliches und zugängliches System« zur Pflicht werden muss. Aber der deutsche Gesetzgeber zeigte sich bislang zögerlich und hat das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) noch nicht geändert. Obschon die Erfassung von Arbeitszeiten in vielen Unternehmen bereits durchaus üblich ist, waren nur einige Branchen und Gruppen wirklich von einer generellen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung betroffen – so zum Beispiel die Gastronomie, das Baugewerbe und Minijobber. Ansonsten bestand gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG eine Aufzeichnungspflicht nur bei Überstunden sowie Sonn- und Feiertagsarbeit.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Überblick

Das Bundesarbeitsgericht war eigentlich mit einer ganz anderen Frage beschäftigt. Nämlich, ob einem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Durchsetzung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung zusteht. Das BAG hat das verneint. Der Entscheidung lag folgender Gedanke zugrunde: Sofern der Arbeitgeber ohnehin verpflichtet ist, Arbeitszeiten zu erfassen, darf der Betriebsrat ihn nicht zur Nutzung eines bestimmten Systems zwingen. Aufmerksame Leser horchen jetzt vielleicht auf und sagen: Moment, eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung steht aber gar nicht im Arbeitszeitgesetz! Das ist richtig.

Aber das BAG bezieht sich in seiner Entscheidung nicht ausschließlich auf das Arbeitszeitgesetz, sondern zieht das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) mit heran. Dort ist festgelegt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, eine »…Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben«. Zur Umsetzung der dazu notwendigen Maßnahmen hat er »…für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen« (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG). Diese Norm wendet das BAG auf die Arbeitszeitserfassung an und begründet damit, dass eine allgemeine Verpflichtung zur Erfassung von Arbeitszeiten bereits im Gesetz verankert ist. Und zwar für alle Unternehmen für die keine anderweitigen Vorschriften gelten!

nach oben »

Was beinhaltet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Dazu führt das BAG weiter aus, dass ein System zur Arbeitszeiterfassung als organisatoriche Maßnahme zum Schutz der Arbeitnehmer zu werten ist, weil es sicherstellt, dass die gesetzlich vorgegebenen Höchstarbeits- sowie Pausen- und Ruhezeiten überprüfbar sind und eingehalten werden. Für Arbeitgeber heißt das nun konkret: Sie müssen ein entsprechendes System einführen bzw. ein schon vorhandenes an die neuen Erfordernisse bei der Nachweispflicht anpassen.

Die Nachweis- bzw. Aufzeichnungspflicht umfasst die täglich geleistete Gesamtarbeitszeit jedes Arbeitnehmers – mit Beginn und Ende sowie inklusive aller Überstunden. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts lässt jedoch offen, in welcher Form die Arbeitszeiten erfasst werden sollen. Ein handgeschriebener Stundenzettel käme genauso infrage wie eben die gute alte Stechuhr oder eine elektronische Zeiterfassung. Allerdings muss das System auch verlässlich, also manipulationssicher sein.

nach oben »

Bedeutet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung das Aus für Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit?

Im vielen Vertriebsorganisationen sind sowohl Homeoffice und mobiles Arbeiten als auch eine Vertrauensarbeitszeit üblich. Klar ist: Die Arbeitszeiterfassungs-Pflicht macht vor diesen Arbeitsmodellen nicht halt. Dennoch wird das keinesfalls das Aus für Homeoffice & Co. bedeuten. Lediglich die Arbeitszeiten müssen nun täglich und umfangreicher aufgezeichnet werden, was jedoch nicht im Widerspruch dazu steht, weiterhin flexible Arbeitszeitmodelle zu nutzen oder mobil zu arbeiten. Nur sind eben Stundenzettel oder Stechuhr zum Nachweis der geleisteten Arbeitszeit eher weniger praktikabel. Doch es gibt ja mittlerweile ausreichend technische Möglichkeiten zur elektronischen Zeiterfassung.

nach oben »

Fazit

Im Hinblick auf konkrete Einzelheiten bei der Erfassung der Arbeitszeit sind noch viele Fragen offen – beispielsweise, wer eigentlich zur Zeiterfassung verpflichtet ist. Theoretisch kann der Arbeitgeber die Verpflichtung auch an seine Arbeitnehmer delegieren, er bleibt aber trotzdem für den Arbeitsschutz verantwortlich. Unklar ist ebenfalls, ob leitende Angestellte ihre Arbeitszeiten erfassen müssen. Momentan gehen die Meinungen dahin, dass für leitende Angestellte hier eine Ausnahme gilt.

Das Bundesministerium für Arbeit hat angekündigt, nunmehr zu prüfen, welche Konsequenzen sich durch den BAG Beschluss für den Gesetzgeber ergeben und will voraussichtlich im ersten Quartal 2023 einen Vorschlag einbringen, wie die Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz ausgestaltet werden soll. Bis dahin dürfen Unternehmen aber nicht abwarten – die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt schon jetzt!

nach oben »


Beitragsbild: Adobe Stock | Jakub Krechowicz

Redaktioneller Hinweis
Dieser Artikel bietet lediglich einen Überblick über zum Thema aktuelle Entwicklungen bei der Arbeitszeiterfassung in Deutschland. Er erhebt keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit und ersetzt keinesfalls eine individuelle rechtliche Beratung durch juristisches Fachpersonal.

Gender-Hinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die geschlechtsspezifische Differenzierung nicht durchgehend, sondern meist das generische Maskulinum (z. B. „der Arbeitgeber“). Sämtliche Personenbezeichnungen gelten jedoch gleichermaßen für jedes Geschlecht und sollen keinerlei Benachteiligung darstellen. Die verkürzte Sprachform hat ausschließlich redaktionelle Gründe und ist wertfrei.

Zurück